Venedigermännlein reitet einen Drachen

Die Zwingbrücke im Dietersberg
Die Zwingbrücke im Dietersberg
AR

Vor uralten Zeiten lebte ein Drache im Trettachtal, der von Zeit zu Zeit nach Oberstdorf kam und die Hälfte aller Einwohner auffraß. Vielleicht wohnte er sogar im Wurmloch oberhalb der Alpe Oberau.
Die Sage berichtet, dass aus Angst vor diesem unersättlichen Ungetier viele Familen fortgezogen seien. Eines Tages kam jedoch ein ganz besonders gelehrter Venediger nach Oberstdorf und saß mit den Bauern im Wirtshaus zusammen. Als er von ihrer Not mi dem Drachen hörte, versprach er, sie von dem Höllenwurm zu befreien. Er würde das deswegen machen, weil er und seine Landsmänner bisher immer so gastlich in Oberstdorf aufgenommen wurden. Natürlich wollten sich die Oberstdorfer das Schauspiel nicht entgehen lassen und fragten, ob sie zuschauen dürften. Das Kapuzenmännle war einverstanden und bestellte sie auf die Zwingbrücke bei Dietersberg. Da es Hochsommer war, floss im Bachbett nur ein armseliges Rinnsal an Wasser. Doch plötzlich, wie aus dem Nichts, schoss eine braune Hochwasserflut auf die Brücke zu. Man hätte meinen können, dass über dem Kratzer ein Riesenunwetter niedergegangen wäre. Mit diesem Dreckwasserschwall kam aberauch der Venediger daher. Er ritt mit der Peitsche in der Hand auf dem riesigen Drachen. Der Lindwurm schlängelte sich gehorsam durch die Windungen der Trettach und befolgte die Befehle seines Reiters. Da er eine unbekannte Sprache benutzte, war nur am Tonfall zu hören, dass der Vendiger das Tier übel beschimpfte. Wie weit dieser Teufelsritt die Iller hinabging und wo er endete blieb leider unbekannt.
Später glaubte man, dass mit dem Ungeheuer sinnbildlich die Pest, die im 16. Jahrhundert sogar mehr als die Hälfte aller Oberstdorfer dahinraffte, gemeint sein könne.
(nacherzählt von A. Rößle)

Oberstdorfer Sagen: Das Venedigermännle reitet einen Drachen
Oberstdorfer Sagen: Das Venedigermännle reitet einen Drachen
Brigitte Rößle