Carlo Mierendorff
Carlo Mierendorff wird am 24. März 1897 in Großenhain (Sachsen) als zweiter Sohn der Charlotte, geb. Meißner (1875-1927), und des Kaufmanns und Textilvertreters Georg Mierendorff (1863-1928) geboren. Er wächst in einem liberalen Elternhaus auf.
Die Familie zieht 1907 nach Darmstadt, wo Carlo das humanistische Ludwig-Georgs-Gymnasium besucht. In seiner Freizeit nimmt er an Aktivitäten der Wandervogelbewegung teil. Zusammen mit Theodor Haubach (1896-1945) und dem späteren Verleger Joseph Würth (1900-1948), die dieselbe Schule besuchen, gehört er einem Kreis literarisch interessierter Gymnasiasten an, aus dem 1915 Joseph Würths künstlerisch-literarische Zeitschrift Die Dachstube hervorgeht. An ihre Stelle tritt im Januar 1919 dann das erste Heft der spätexpressionistischen Zeitschrift Das Tribunal. Hessische radikale Blätter, deren Herausgeber Carlo Mierendorff ist. Erklärtes Ziel ist der Einsatz für Frieden, Freiheit und Völkerverständigung und insbesondere die Revolutionierung von Kunst und Literatur.
Mierendorff meldet sich wenige Tage nach dem Notabitur 1914 freiwillig zum Militärdienst. Während des Krieges erkrankt er wiederholt sehr schwer und immatrikuliert sich bei einem Genesungsaufenthalt an der Universität Heidelberg für das Studium der Volkswirtschaft, wechselt dann nach Freiburg im Breisgau und schließlich an die Universität in Frankfurt am Main. Noch während des Kriegseinsatzes entsteht 1917 seine Novelle Der Gnom und 1918 die Erzählung Lothringer Herbst.
In Frankfurt lernen sich 1919 Carl Zuckmayer und Carlo Mierendorff kennen. Die Freundschaft besteht bis zu Mierendorffs frühem Tod. Beide sind Mitglied in der Sozialistischen Studentengruppe und der Vereinigung republikanischer Studenten. 1920 tritt Mierendorff in die SPD ein. Im selben Jahr entsteht sein Essay Hätte ich das Kino!! Mit der Arbeit Die Wirtschaftspolitik der Kommunistischen Partei Deutschlands wird er 1922 promoviert
Anschließend ist er wirtschaftswissenschaftlicher Sekretär beim Transportarbeiterverband im Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) in Berlin. Er redigiert 1925/26 das Feuilleton des sozialdemokratischen Hessischen Volksboten in Darmstadt, ist Mitglied der republikanischen Organisation Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Von 1926 bis 1928 ist er als Sekretär der SPD-Reichstagsfraktion in Berlin tätig. 1928 bis 1933 fungiert er als Pressereferent des hessischen Innenministers Wilhelm Leuschner. Mit den Wahlen am 14. September 1930 schließlich wird er jüngstes Mitglied der SPD im Reichstag, wo er vor dem aufkommenden Rechtsradikalismus warnt und sich gegen das Erstarken des Nationalsozialismus und dessen Antisemitismus engagiert. Er publiziert zu verschiedenen politischen und gesellschaftspolitischen Themen u. a. in den Neuen Blättern für den Sozialismus, in den Sozialistischen Monatsheften, in der Deutschen Republik und im Reichsbanner. In einer Reichstagsrede am 6. Februar 1931 greift er in spektakulärer Weise Joseph Goebbels persönlich an und veröffentlicht im November 1931 die sog. Boxheimer Dokumente, die den demokratiefeindlichen Charakter der NSDAP und deren Umsturzpläne belegen.
Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler 1933 entzieht sich Mierendorff zunächst der drohenden Verhaftung durch Flucht in die Schweiz, kehrt aber dann gegen den Rat seiner Freunde wieder zurück. Am 13. Juni wird er in einem Frankfurter Cafe verhaftet und kommt für 4 ½ Jahre in die Konzentrationslager Osthofen, Börgermoor, Papenburg, Lichtenburg und Buchenwald sowie ins Gefängnis der Geheimen Staatspolizei in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße.
Unter der Auflage, sich nicht weiter politisch zu betätigen, wird er zwar im Februar 1938 freigelassen, unterliegt jedoch weiterhin der Überwachung durch die Geheimpolizei. Er arbeitet zunächst in einem Leipziger Rüstungsbetrieb und ist ab 1939 in der Sozialabteilung der Braunkohle- und Benzin-AG Berlin tätig. Zugleich schließt er sich der Widerstandsbewegung an und engagiert sich ab 1941 im engeren Kreisauer Kreis um Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg, wo er als Bindeglied zwischen dem sozialdemokratischen Widerstand um Emil Henk, Julius Leber, Wilhelm Leuschner und Adolf Reichwein sowie den militärischen (Claus Schenk Graf von Stauffenberg) und bürgerlichen (Carl Goerdeler) Oppositionellen fungiert. Mit seinem Aufruf Sozialistische Aktion vom Juni 1943 wirbt er für ein Bündnis aller antifaschistischen Kräfte über alle politischen und weltanschaulichen Gegensätze hinweg.
Carlo Mierendorff ist öfters in Oberstdorf. So verbringt er Silvester/Neujahr 1929/30 im Landhaus Deiser, Hausnummer 174 1/15, heute Heimenhofenstr. 9. In der Zeit von September 1942 bis zu seinem Tod im Dezember 1943 ist er mehrfach bei Amalie und Carl Zuckmayer sen., den Eltern von Carl Zuckmayer jun., in der „Villa Heimat“ zu Gast.
Am 4. Dezember 1943 kommt Carlo Mierendorff durch eine Fliegerbombe der Alliierten bei einem Luftangriff auf Leipzig ums Leben. Er wird auf dem Darmstädter Waldfriedhof bestattet.
Links
Oberstdorf-Lexikon App
Zeigt auf einer digitalen Karte den Ort in Oberstdorf an.