Gertrud Freiin von le Fort

Lina Elsbeth Mathilde Petrea Gertrud Freiin von le Fort wird am 11. Oktober 1876 als ältestes Kind der Caroline Therese Elisabeth, geb. von Wedel (1842-1918), und des preußisch-königlichen Majors Baron Friedrich Franz Peter Paul Heinrich Ernestus Lothar Freiherr von le Fort (1831-1902) in Minden (Westfalen) geboren. Sie wird evangelisch getauft. Gertrud hat drei Geschwister: Irmgard (1879-1879), Elisabeth (1880-1972) und Stephan (1884-1954).

Bedingt durch den Beruf des Vaters zieht die Familie 1880 aus Minden weg, zunächst nach Berlin (1880-1884), dann nach Koblenz (1884-1889). Beim Ausscheiden Lothar von le Forts aus dem aktiven Militärdienst erfolgt ein erneuter Wohnsitzwechsel nach Hildesheim (1889-1896), wo Gertrud erstmals eine öffentliche Schule besucht. Bisher wird sie durch eine Privatlehrerin und durch ihren Vater unterrichtet. Die Erziehung der le-Fortschen Kinder ist protestantisch-subjektiv, vorwiegend bibel- und gewissensorientiert, aber konfessionell offen. Von klein an werden ihnen Maximen vermittelt, die sich aus dem Schicksal ihrer aus Savoyen zu Calvin nach Genf geflüchteten Waldenser-Vorfahren ableiten lassen. An erster Stelle stehen: unbeugsame Gewissensfreiheit aus religiöser Überzeugung und die Verpflichtung zur letzten Selbstverantwortung.

Nach einem kurzfristigen Aufenthalt in Halberstadt (1896/97) zieht die Familie nach Ludwigslust in Mecklenburg. Insbesondere während der Hildesheimer und der Ludwigsluster Zeit (1897-1915) sind für Gertrud die Sommeraufenthalte auf den verschiedenen Gütern der Verwandten von größter Bedeutung: dem Majorat Boek an der Müritz, Familiengut der le Forts, sowie Polßen, Geburtsort der Mutter, Parlow, Wohnsitz des Onkels, sowie Misdroy, Alterssitz des Großvaters.

Der Tod des Vaters am 29. August 1902 bedeutet für Gertrud in mehrfacher Hinsicht einen tiefen Einschnitt in ihr Leben. Sie unternimmt jetzt Reisen, beschäftigt sich vermehrt mit Literatur. So entsteht ihr Frühwerk, eine Vielzahl an Gedichten und kleinen Erzählungen, die sie etwa seit der Jahrhundertwende bei verschiedenen Familienzeitschriften einreicht. Im Jahr 1900 erscheint ihr erster kleiner Gedichtband. 1904 schreibt sie unter dem Pseudonym Gerta von Stark ihren ersten Roman Prinzessin Christelchen. Ein Hofroman. Wohl 1908 verfasst sie Unsere Liebe Frau vom Carneval. Eine venezianische Legende, die erst 1975 posthum gedruckt wird.

Zu Beginn des Sommersemesters 1908 zieht Gertrud von le Fort zum Studium nach Heidelberg, darf sich als Gasthörerin immatrikulieren und gehört so zu den wenigen dort seit 1899 studierenden Frauen. Insgesamt absolviert sie acht Semester, sechs in Heidelberg und je eines an der Universität Marburg (WS 1913/14) und Berlin (WS 1915/16). Sie belegt Vorlesungen vor allem in Evangelischer Theologie, in Philosophie und Geschichte. Ein akademischer Abschluss ist ihr wegen des fehlenden Abiturs nicht möglich.

Im Winter 1914/15 ist sie als freiwillige Rotkreuzhelferin in Ludwigslust bei der Bahnhofsmission an Lazarettzügen im Einsatz. Die Familie zieht im April 1915 nach Boek an der Müritz, weil das Majorat zum Nießbrauch nunmehr auf ihren Bruder Stephan übergeht. Wenige Tage nach Kriegsende 1918 stirbt die Mutter an der Spanischen Grippe. Stephan, der sich am Kapp-Putsch beteiligt, muss fliehen, und Gertrud von le Fort übernimmt an seiner Stelle die Verwaltung des Guts bis zu dessen Beschlagnahmung durch die mecklenburgische Landesregierung (1920). Sie, nunmehr heimatlos, findet vorläufige Unterkunft in Heidelberg, Tutzing und Feldafing bei Freunden. Schließlich erwirbt sie 1922 zusammen mit ihrer Schwester Elisabeth das Haus Konradshöhe in Baierbrunn über dem Isartal. In dieser Zeit entstehen etliche weitere Erzählungen, es erscheint ihr Gedichtband Lieder und Legenden (1912), sie schreibt eine Reihe von Gedichten, darunter Die Emigranten (1912), Die Kathedrale nach der Schlacht (1914), Wiegenlieder der Emigranten (1914) und Die Emigranten (11 Sonette, 1914), Lied einer galizischen Nonne (1915), Emigrantengesicht (1915) und Deutsches Leid (1923).

Während eines längeren Romaufenthalts 1926 konvertiert sie in der Kirche Santa Maria dell’Anima zum Katholizismus. Literarischer Ausdruck für diesen Entschluss sind die bereits im Jahr 1924 gedruckten Hymnen an die Kirche, die in ihrem literarischen Schaffen den Durchbruch bedeuten. Es folgen weitere Hauptwerke: Das Schweißtuch der Veronika. Band 1: Der römische Brunnen (1928). Aus purem Geldmangel schreibt sie unter dem Pseudonym Petrea Vallerin 1927 zunächst den Kriminalroman Der Kurier der Königin. 1930 erscheint ihr zweiter großer Roman mit dem Titel Der Papst aus dem Ghetto, der veranlasst wird durch die antisemitischen Aktivitäten der Nationalsozialisten in München. 1931 folgt ihre wohl bekannteste Novelle Die Letzte am Schafott mit der Intention, den Verfall der Menschlichkeit und die existentielle Bedrohung durch Massenpsychosen ins Bewusstsein zu bringen. Auslöser ist für sie ursprünglich das seinerzeitige Vorgehen der Bolschewisten und aktuell das der Nationalsozialisten.

Von Dezember 1936 bis Mai 1938 hält sich Gertrud von le Fort aus gesundheitlichen Gründen im Sanatorium Florentinum in Arosa (Schweiz) auf. Dort beendet sie ihren dritten großen Roman Die Magdeburgische Hochzeit. Die anschließende Rückkehr auf die Konradshöhe nach Baierbrunn ist nur vorübergehend. 1940 entscheidet sie sich, für immer nach Oberstdorf ins Allgäu umzusiedeln, wo sie bereits 1938 und 1939 im Haus Am Sonnenbichl, Krappberg 3, Urlaub gemacht hat. Sie wohnt zunächst im Landhaus Fischer, damals Freibergstr. 6 (heute Freibergstr. 20), dann ab 1957 bis zu ihrem Tod 1971 Im Haslach 9.

Die politischen Ereignisse ab 1922 betrachtet Gertrud von le Fort mit großer Sorge. Literarisch findet dies seinen Niederschlag in ihren Hymnen an Deutschland aus dem Jahr 1932. Gertrud von le Forts politische Grundeinstellung ist konservativ, schon von ihrer Herkunft und ihren persönlichen Erfahrungen her. Sie erlebt jetzt von Baierbrunn aus die aktuellen politischen Umtriebe der Nationalsozialisten insbesondere im benachbarten München. Ihre Bücher werden 1933 zwar nicht verbrannt. Gertrud von le Fort kann während der ganzen Zeit des Nationalsozialismus publizieren. Dem 1933 gegründeten Reichsverband deutscher Schriftsteller (RDS) gehört sie nicht an. Der ab 1934 verpflichtenden Mitgliedschaft in der Reichsschrifttumskammer kann sie sich nicht entziehen, will sie nicht das automatisch damit verbundene Publikationsverbot provozieren. Gertrud von le Fort gehört damals in Deutschland „zu den (zwar) weitverbreitetsten (aber letztlich) unerwünschten Autoren“. Ab 1938 wird ihr Name in den NS-Literaturgeschichten totgeschwiegen. Der Aufforderung, zu Hitlers Geburtstag im Jahr 1942 für die Soldatenzeitschrift „Münchener Feldpost“ ein Lobgedicht auf den „Führer“ zu schreiben, kommt sie nicht nach. Das Ausleihen ihrer Werke in den öffentlichen Bibliotheken wird verboten. In der nationalsozialistischen Gottbegnadetenliste von 1944 erscheint ihr Name nicht. Für die Nationalsozialisten ist Gertrud von le Fort offenbar schwer einzuordnen und entzieht sich dem direkten Zugriff. Doch allein schon die Rassenideologie der Nationalsozialisten ist Gertrud von le Fort völlig fremd. Als sie Anfang der 1920er Jahre in München ein Plakat Hitlers mit dem Text Juda verrecke sieht, notiert sie dazu: „In diesem Augenblick stand es bereits in mir fest, dass ich diesem Hitler nie Gefolgschaft leisten konnte.“ Zeit ihres Lebens ist sie mit etlichen jüdischen Mitbürgern freundschaftlich verbunden. Hermann Hesse sagt, Gertrud von le Fort sei „innerhalb des Hitlerschen Deutschland wohl die wertvollste, begabteste Vertreterin der intellektuellen und religiösen Widerstandsbewegung“.

In ihren Oberstdorfer Jahren von 1940 bis 1971 entsteht ein ganz beachtliches Alterswerk, sowohl hinsichtlich des Umfangs wie auch der literarischen Qualität. 1940 erscheint die Erzählung Die Abberufung der Jungfrau von Barby. 1941 stellt sie die Erzählung Das Gericht des Meeres im Manuskript fertig. Der Druck erfolgt 1943, doch fällt nahezu die gesamte Auflage dem Bombenangriff auf Leipzig zum Opfer. Die Tochter Farinatas wird im Manuskript abgeschlossen (Druck 1950). 1943 beendet sie Die Consolata (1947 gedruckt). Bereits 1943 ist Der Kranz der Engel als 2. Teil zu Das Schweißtuch der Veronika druckfertig. Der Vorabdruck in der Zeitschrift CORONA wird 1944 beim Fliegerangriff auf München zerstört. Als der Roman 1946 erscheint, bewirkt er heftige Angriffe gegen Gertrud von le Fort durch katholische Kleriker. Die Anfeindungen gipfeln in der Forderung, den Roman auf den Index librorum exhibitorum zu setzen, d. h. auf die Liste der Bücher, die zu lesen für einen Katholiken unter der Strafandrohung der Exkommunikation verboten ist. Ein scharfes Schwert. Ihr Gedichtzyklus Gesang aus den Bergen (1949) ist Arosa und ihrer Wahlheimat Oberstdorf gewidmet. Es folgen schließlich Gelöschte Kerzen (1953), Am Tor des Himmels (1954), Die Frau des Pilatus (1955), Der Turm der Beständigkeit (1957) – angeregt durch ihren Besuch 1953 in Aigues-Mortes –, Die letzte Begegnung (1959), Das fremde Kind (1961), Die Tochter Jephthas (1964), Das Schweigen (1967) und Der Dom (1968).

Gertrud von le Fort lebt in Oberstdorf eher zurückgezogen. Trotzdem und ungeachtet ihres hohen Alters engagiert sie sich immer wieder auch im gesellschaftlichen Bereich. Sie setzt sich schon zu einer Zeit, als dies wenig beachtet wird, für den Umweltschutz ein, so beispielsweise für den Erhalt der Alleen, die Bewahrung der Breitachklamm, spricht sich gegen den Bau einer Bergbahn am Hochgrat aus, solidarisiert sich mit der Friedensbewegung, unterstützt zusammen mit Ina Seidel und Hedwig Born die Initiative gegen atomare Bewaffnung und unterschreibt den Protest des Komitees gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr (1958), in dessen Beirat sie ist.

Das literarische Werk Gertrud von le Forts ist insgesamt geprägt von existentiellen Fragen, der Frage nach Angst und Geborgenheit, Heimatlosigkeit und Heimat, der Dämonie des Bösen, von Schuld und Sühne, von Gnade und Erlösung und insbesondere von Erbarmen und Liebe.

In der Nacht vom 31. Oktober 1971 zum 1. November 1971 stirbt Gertrud von le Fort in Oberstdorf im Alter von 95 Jahren. Das Requiem zelebriert der Augsburger Erzbischof Dr. Josef Stimpfle. Sie wird auf dem Oberstdorfer Waldfriedhof in Gegenwart der Verwandten, Freunde und Bekannten, der Oberstdorfer Bevölkerung, örtlicher, regionaler und überregionaler Prominenz, so des Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Alfons Goppel, in einem Ehrengrab bestattet.