Cordelia Edvardson
Cordelia Maria Edvardson wird am 1. Januar 1929 als uneheliche Tochter der Dichterin Elisabeth Langgässer (1899-1950) und des jüdischen Staatsrechtlers und Politologen Hermann Heller (1891-1933) in München geboren und katholisch getauft.
Ihre Kindheit verbringt sie mit ihrer Mutter, ihrer Großmutter Eugenie Langgässer (1859-1942) und dem Onkel Heinrich (1901-1946) in verschiedenen Wohnungen in Berlin. Auf Grund der Berufstätigkeit der Mutter ist Cordelias hauptsächliche Bezugsperson die Großmutter. Insbesondere diese soll, so berichtet Cordelia später, sie vor dem gesellschaftlichen Umfeld weitgehend abgeschottet haben, denn sie will dem Kind und letztlich der gesamten Familie ersparen, dass das soziale Stigma von Cordelias unehelicher Geburt und ihrer jüdischen Abstammung sie alle der Verachtung durch die Nachbarschaft preisgibt. Die 1935 geschlossene Ehe von Elisabeth Langgässer und dem „arischen“ Philosophen und Theologen Wilhelm („Reinhold“) Hoffmann (1899-1967) bietet für die Halbjüdin Elisabeth Langgässer selbst und insbesondere für ihre Tochter Cordelia, die als „Dreivierteljüdin“ gilt, zwar zunächst einen gewissen Schutz vor direkter Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Dazu trägt auch bei, dass Cordelia 1936 den Familiennamen Hoffmann erhält. Doch Cordelia selbst weiß infolge dieser Tabuisierung auch in der Familie selbst all die Jahre nichts von ihrer Abkunft, was, bedingt durch die zunehmende Verfolgung jüdischer Mitbürger, sich für die Entwicklung Cordelias als verhängnisvoll erweist. Diese empfindet sich als „ausgesondert, abgesondert und abseits gestellt“, als Gast und Fremdling, nirgendwo zugehörig, ohne sich dies erklären zu können.
Elisabeth Langgässer macht mit ihrer dreieinhalbjährigen Tochter Cordelia vom 26. Juni bis Ende Juli 1932 erstmals in Oberstdorf Urlaub bei einer Freundin, der Neurologin Anna von Philipsborn (1893-1986), die mit dem Internisten Ernst von Philipsborn (1894-1973) verheiratet ist und die zwei mit Cordelia etwa gleichaltrige Kinder haben, Wolfgang (geb. 1929) und Gerda (geb. 1931). Sie finden Unterkunft im Landhaus Hochfeichter in der Zollstraße 4, wo auch die Familie von Philipsborn wohnt. Im Juli 1937 verbringt dann die inzwischen 8-jährige Cordelia die Sommerferien allein in Oberstdorf bei Familie von Philipsborn, desgleichen auch vom 5. bis 30. Juli 1938. Von Mitte Mai bis Mitte Juni 1942 ist Cordelia schließlich ein viertes Mal, diesmal wieder zusammen mit ihrer Mutter in Oberstdorf. Sie wohnen im benachbarten Tiefenbach.
Nach der Geburt ihrer erheblich jüngeren Halbgeschwister Annette (12. Oktober 1938), Barbara (10. Januar 1940) und Franziska (12. Juli 1942) empfindet sich Cordelia aus der Familie ausgegrenzt. Ihr „Anderssein“ wird für sie auch darüber hinaus jetzt konkret spürbar: Die Mitgliedschaft im Bund Deutscher Mädel (BDM) wird ihr verwehrt, nach einem kurzen Besuch eines Gymnasiums im Frühjahr 1939 wird sie wegen des nicht zu erbringenden Nachweises der „arischen Abstammung“ mit einem für sie unverständlichen und trivialen Vorwand wieder ab- und an eine „Judenschule“ verwiesen. Ab September 1941 ist für sie das Tragen des „Judensterns“ Pflicht. Um die anderen Familienmitglieder nicht zu gefährden, wird sie andernorts untergebracht. Sie kommt zunächst in wechselnde Quartiere und muss ihren Übernachtungsplatz zu ihrer eigenen Sicherheit immer öfters wechseln. Dort lebt sie mit verzweifelten Menschen zusammen, erlebt deren Suizidversuche und Deportationen. Acht Wochen lang ist sie wegen Scharlach in einem jüdischen Krankenhaus.
Spätestens seit der Reichspogromnacht am 9. November 1938 ist für die Familie Langgässer/Hoffmann die besondere Gefährdung Cordelias nicht mehr zu übersehen. Die Hoffnung, für sie doch noch mittels der Abstammungspapiere des leiblichen Vaters einen Ariernachweis erbringen zu können, erweist sich als trügerisch. Hinweise von Bekannten und Freunden, rechtzeitig ein Visum für Cordelia zu beschaffen, finden zu spät Beachtung, so dass der Versuch scheitert, sie über die Schweiz nach Brasilien in Sicherheit zu bringen. Im Januar 1943 gelingt es zwar noch, Cordelias Adoption durch ein spanisch-belgisches Ehepaar zu arrangieren. Doch Cordelia wird anschließend von der Geheimen Staatspolizei vorgeladen und gezwungen, neben der spanischen die deutsche Staatsangehörigkeit beizubehalten, andernfalls werde ihre Mutter wegen Hochverrats belangt, da diese versucht habe, „eine Jüdin den Rassengesetzen zu entziehen“. Cordelias Weigerung würde auch die Zuteilung von Lebensmittelkarten für ihre Familie sowie die Kennzeichnung des Hauses mit einem gelben Stern nach sich ziehen. Die 14-Jährige unterschreibt, unterstellt sich damit wieder den deutschen Gesetzen und liefert sich zugleich der Deportation aus. Zunächst kommt sie in die Kinderabteilung eines Jüdischen Krankenhauses, das auch als Sammellager für Deportationen in die Vernichtungslager dient. Ein Versuch, über das Spanische Konsulat doch noch Cordelias Ausreise zu erreichen, scheitert endgültig. Am 10. März 1944 wird diese nach Theresienstadt deportiert, acht Wochen später ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Schwer erkrankt gelangt sie, inzwischen 16-jährig, im Frühjahr 1945 mit den „Weißen Bussen“, einer Rettungsaktion des Schwedischen Roten Kreuzes durch Folke Bernadotte, nach Schweden. Sie kommt dort zunächst in ein Lungensanatorium, wo ihre beidseitige Lungentuberkulose behandelt wird, und versucht dann, die schwerwiegenden Traumata der Vergangenheit mit therapeutischer Hilfe zu bewältigen.
Am 15. Mai 1948 heiraten Cordelia und der Journalist Ragnar Edvardson (1917-2014), Anfang September 1948 wird ihr Sohn Martin geboren. Ein Jahr später besuchen sie Elisabeth Langgässer in Rheinzabern. Es war der erste und zugleich letzte Besuch, denn am 25. Juli 1950 verstirbt Elisabeth Langgässer, welche die Geburt der dann nach ihr benannten Enkelin Elisabeth im August 1950 nicht mehr erlebt. Cordelia und Ragnar Edvardson lassen sich 1950 scheiden. Der Sohn Martin bleibt beim Vater, die noch nicht einmal ein Jahr alte Tochter Elisabeth überlässt Cordelia 1951 ihrem Stiefvater Wilhelm Hoffmann, der diese adoptiert und zusammen mit seinen eigenen drei Kindern aufzieht.
Cordelia Edvardson wird in Schweden eine erfolgreiche Journalistin. Während des Jom Kippur-Kriegs 1973 geht sie als Kriegsberichterstatterin von Stockholm nach Tel Aviv. 1974 zieht sie nach Israel um, wo sie zwischen 1977 und 2006 als Korrespondentin für die Zeitung „Svenska Dagbladet“ („Schwedisches Tagblatt“) tätig ist. Aus gesundheitlichen Gründen kehrt sie wieder nach Stockholm zurück. Cordelia Edvardson stirbt mit 83 Jahren am 29. Oktober 2012 in Stockholm.
1984 erscheint ihr Buch „Gebranntes Kind sucht das Feuer“ auf Schwedisch, 1986 auf Deutsch. Elisabeth Langgässer wird daraufhin posthum vorgeworfen, sie habe sich an ihrer unehelichen Tochter Cordelia schuldig gemacht. Diese selbst zeigt sich über die Leserreaktion irritiert, zumal sie bei ihren Vortragsreisen durch Deutschland immer wieder mit der Frage konfrontiert wird, ob sie denn ihre Mutter hasse. Sie weist darauf hin, dass nicht die Mutter anzuklagen sei, sondern das politische System, und macht dabei geltend, dass nicht die Mutter es war, die das Kind verschleppte, dass man vielmehr denen die Schuld geben müsse, die einer Mutter ein solches Dilemma aufzwingen.
Zu ihren Oberstdorfer Aufenthalten 1937 und 1938 behauptet sie, sie wäre damals vom Gastgeber angeschrien, geschlagen und als „Judengöre“ beschimpft worden. Ihrer Mutter sei damals nicht unbekannt gewesen, dass diese Familie „gläubige Nazis“ waren, die „wussten, dass der Vater des Mädchens Jude war“. Auch gegen ihren Stiefvater Wilhelm Hoffmann erhebt sie Vorwürfe, wonach dieser sie geschlagen habe.
Cordelia Edvardsons Buch ist im Untertitel als Roman deklariert und wird somit dem fiktionalen Bereich zugeordnet. Es ist in seiner Gesamtheit Teil ihres Bemühens, die traumatisierenden Erfahrungen in ihrer Jugend während der NS-Zeit aufzuarbeiten. Für die bei den Oberstdorfer Aufenthalten behaupteten Widerfahrnisse finden sich keine Belege. Ebenso sind die Vorwürfe gegen den angeblich prügelnden Stiefvater Wilhelm Hoffmann in der gegebenen Weise kaum haltbar, zumal Cordelia selbst andernorts beispielsweise erklärt: „Reinhold versuchte auch mich zu retten und zu schützen, doch das war unmöglich, und seine Hilflosigkeit in dieser Angelegenheit war nicht die geringste seiner Qualen.“
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