Die Kelten im oberen Allgäu
Allgemeines
Als die Römer gegen Mitte des letzten Jahrhunderts vor Christus über die Alpen vordrangen, herrschten im Gebiet zwischen dem atlantischen Ozean, dem heutigen Frankreich, bis zum Karpatenbecken, dem heutigen Ungarn, die Kelten. Leider sind unsere Kenntnisse über dieses Volk noch sehr gering. Die seltenen schriftlichen Quellen entstammen ausnahmslos römischen Ursprungs. Ich werde weiter unten noch darauf eingehen.
Dieses Volk ist wahrscheinlich um 500 v. Chr. bei uns eingewandert und war so weit entwickelt, dass es den Stadtkulturen der Griechen und Römer in nichts nachstand. Die Kelten führten unter anderem die Geldwirtschaft in Mitteleuropa ein. Daneben hatten sie eine eigene Schrift, die sie jedoch nur für den Handel und die Wirtschaft nutzten. Anscheinend wurden aus religiösen Gründen historische Zusammenhänge nicht schriftlich überliefert. Das florierende Eisenhandwerk produzierte Gegenstände, die so fortschrittlich waren, dass sie bis ins 19. Jahrhundert unverändert weiter benutzt wurden.
Die politischen Zentren bestanden aus großen Opidas, wie z.B. dem riesigen Manching an der Donau. Geführt wurden die Kelten durch eine Adelskaste, die sehr stark religiös durchdrungen war. Ein recht übersichtliches Bild dieser Gesellschaftsform liefern uns übrigens die Comicheftchen "Asterix und Obelix", die ziemlich nahe an die Wirklichkeit herankommen. Entscheidend für den politischen Niedergang der Kelten im 1. Jahrhundert vor Christus war jedoch ihr dezentrale Machtstruktur. Jedes einzelne Völkchen hatte seine eigenen Fürsten, die sich nicht selten gegenseitig ausspielten.
Die Kelten im Voralpengebiet
Cäsar jedenfalls nutze diese Schwäche bei seinen Gallienfeldzügen ab 58 v. Chr. schamlos aus. Als er 51 v. Chr. das Land niedergeworfen wieder verließ, waren die großen Opida zerstört und über 3 Millionen Kelten sollen getötet bzw. versklavt worden sein. Was an keltischer Kultur überlebte, wurde in wenigen Jahren römisch eingefärbt. Dazu nahm in dieser Zeit auch der Druck der Germanen aus dem Norden zu. So stießen die suebischen Scharen des Ariovist spätestens seit ca. 60 v. Chr. immer wieder in den keltischen Lebensraum vor. Sie plünderten u. a. auch Manching. Aus diesem Grund scheinen die keltischen Opida im Voralpengebiet schon vor dem Einmarsch der Römer aufgegeben worden sein. Die keltische Oberschicht soll sich in Richtung Schweiz, ins Gebiet der keltischen Helveter, zurückgezogen haben.
Die Kelten im Oberallgäu
Wenden wir uns nun dem eng umgrenzten Raum des Allgäus zu. Aus den oben erwähnten schriftlichen Zeugnissen wissen wir, dass die römischen Heere unter Drusus und Tiberius im Jahre 15 v. Christus die vindelikischen Stämme im Voralpenraum besiegten. Das stand z.B. auch auf einer Inschrift am Trophaeum Alpium, einem Siegesdenkmal für Kaiser Augustus, dessen Reste bei Monaco immer noch zu besichtigen sind. Die heute leider zerstörte Inschrift hat uns Plinius d.Ä. überliefert. Er benennt 45 Völkerschaften in den Alpen und darunter sind auch die Licates, bei denen es sich nur um die Bewohner der Gegend um den Licca, dem Lech, handeln kann. Strabo wird in seiner Geographika von 19 n. Chr. genauer und schreibt von zwei weiteren vindelikische Stämme in unserem Raum: die Brigantii mit der Hauptstädten Bregenz (Brigantium) und die Estiones mit der Hauptstadt Kempten (Cambodunum). Wie weit einer dieser Stämme auch das südlichere Oberallgäu bewohnte, ist unbekannt. Nebenbei ist eine mögliche Besiedlung durch die rätischen Völker der Zentralalpen auch nicht ausgeschlossen. Interessant ist die Anmerkungen bei Strabo, dass die Bevölkerung Vindelikiens schon kurz nach ihrer Eroberung regelmäßig Steuern bezahlt habe. Cassius Dio berichtet, dass im direkten Anschluss an die römischen Eroberung zwangsweise Rekrutierungen stattfanden, um von vornherein Aufstände zu unterdrücken. Rätische und vindelikische Hilfstruppen kämpften z.B. im Jahre 16 n. Chr. gegen die Cerusker im Wesergebiet. Die beweist wohl hinlänglich, dass unser Gebiet damals nicht menschenleer gewesen sein konnte.
Sprachliche Überreste
Auch die sprachlichen Erinnerungen in die überlieferten keltischen Orts- und Flussnahmen, wie Cambodunum und Licus sollten Beweis genug sein, dass das Gebiet im Alpenvorland nicht unbewohnt war. Wer kann etwas überliefern, wenn niemand da war?
Archäologische Funde
Was jedoch stutzig macht, sind die fehlenden archäologischen Funde. Obwohl Cambodumum die Hauptstadt der Estionen gewesen sein sollte, sind dort bisher keinen nennenswerten keltischen Funde gemacht worden. Eigentlich gibt es aus unserer Gegend nur wenige Streufunde (z.B. ein keltischer Stierkopfschlüssel in Sonthofen und eine Speerspitze die in Oberstdorf zwischen Hotel Sonne und Evangelischer Kirche gefunden wurde) mit denen eine Siedlungskontinuität kaum nachweisbar ist. Dies gilt übrigens nicht nur für den Zeitraum, in dem die Kelten herrschten, sondern darüber hinaus auch für den gesamten prähistorischen Zeitraum. Ein Grund mag darin liegen, dass bei uns kein Ackerbau betrieben wird, dem in anderen Regionen sehr viel Lesefunde zu verdanken sind. Ein weiterer wesentlicher Grund liegt darin, dass unsere heute fruchtbaren Flusstäler zum damaligen Zeitpunkt zumeist unwirtliches Überschwemmungsgebiet waren. Besiedelbar waren nur die erhöhten Hanglagen an den Talseiten, was durch die stark reduzierte Fläche alleine schon eine weitaus geringere Bevölkerungszahl bewirkt. Die bei uns im Bergland stärker wirkenden Erosionseinflüsse bedingen dazu noch einen weiteren Verlust der archäologischen Funde. Diese Zusammenhänge machen es äußerst schwierig, eine Besiedlung des südlichen Teils des oberen Allgäus aus archäologischer Sicht zu begründen.
Neueste Forschung
Einen Lichtblick bilden für mich jedoch die neuesten Funde an der Schneiderküren-Alpe im Kleinen Walsertal, auch wenn sie indirekt nichts mit den Kelten zu tun haben. Was hier in der 2 Jahre andauernden Grabungskampagne zu Tage gefördert wurde, wird wegweisend für die Archäologie und Siedlungsgeschichte in unserem Raum sein. Es ist jetzt eindeutig nachgewiesen, dass auch bei uns in den Allgäuer Alpen die baumlose Hochregion kontinuierlich als Jagd- und Sammelrevier und später als Alpweide genutzt wurde. Woher diese ersten "Älpler" kamen, ist noch unbekannt. Dass sie jedoch unsere Täler durchwandern und sich dabei Schritt für Schritt, Weide für Weide die Berge hinauf und wieder herunter bewegen mussten, beweist eine wenigstens jahreszeitlich Besiedlung unserer Talränder. Wann aus diesen "Vorweiden" ganzjährig bewohnte Bauernhöfe wurden, das bleibt noch zu erforschen.
Vermutung:
Als im 7. Jahrhundert die alemannische Landnahme auch unser oberes Allgäu erreichte, trafen sie auf Reste der rätoromischen Urbevölkerung, die sich teilweise noch in den Städten befand und sicher auch die ehemaligen "villae rusticae" bewohnten. Ein Hinweis auf vorallemannische Bevölkerung gibt beispielsweise auch der Ort Altstätten, dessen Name als "bei den alten Wohnstätten" interpretiert wird. Mit dieser Landnahme der Alemannen begann der Verschmelzungsprozesses der rätoromanischen Urbevölkerung mit den Alemannen , der in der Fachsprache Ethnogenese bezeichnet wird. Auf die selbe Weise bildete sich übrigens zeitgleich westlich des Lechs die bayrischen und östlich des Bodensees die schweizer Bevölkerung.
Auch die Sagengestalten der "Wilden Männle" könnten hier ihren Ursprung haben. Sind sie eine Erinnerung an die rätoromanische Urbevölkerung? Besonders das Motiv des "Verschwindens", das bei den meisten Sagen im Mittelpunkt steht, deutet darauf hin. Sie könnten ein volksnaher Erklärungsversuch für die wahrscheinlich stattgefundene Assimilation sein.