Historische Ereignisse (Erläuterungen)
Die Überschrift „historische Sagen“ ist etwas irreführend, denn objektive Geschichte wird in diesen Sagen nicht vermittelt. Sie beschäftigen sich jedoch mit geschichtlichen Ereignissen, die sich prägend in das Bewusstsein der Bevölkerung eingebrannt haben. Dabei stehen natürlich Kriege und Katastrophen im Mittelpunkt. Bei ihnen kann man besonders deutlich sehen, wie historische Hintergründe in Sagen aufgearbeitet und verändert wurden. Die Sagen zu diesem Themengebiet gehören zu den bekanntesten in Oberstdorfer überhaupt. Auch alte Gebäude, wie die Lorettokapellen oder die Schöllanger Burg, haben die Phantasie unserer Ahnen anregt.
Hauptsächlich die Zeit des dreißigjährigen Krieges hinterließ teils heldenhafte, aber auch grausige Spuren im Oberstdorfer Sagenschatz. Fast jeder Schüler lernt in seiner Grundschulzeit die Sage von den "tapferen Weibern von Oberstdorf" kennen. Sie bewarfen die abziehenden Schweden in der Rubinger Oib mit Bienenkörben, um so das zwangsrequirierte Vieh wieder zurückzugewinnen. Wegen ihrer Tapferkeit erhielten sie von da an das Recht, in der Pfarrkirche auf der ehrenvollen, rechten Seite zu sitzen.
In der "Geschichte des Marktes Oberstdorf, Teil III" wird diese Sage auf das Jahr 1634 datiert. Damals kamen die Schweden mit 300 Reitern nach Oberstdorf. Sie erschlugen wenigstens 13 Oberstdorfer Männer und Frauen und raubten etwa 500 Stück Vieh und 60 Pferde. Die Kirchenschätze, die auf der Alpe Birkatsgündle, dem heutigen Blattners Gündle, versteckt waren, wurden ebenfalls erbeutet. Als die Schweden auf der Gutenalp vorrückten, wurden sie von den Bauern angegriffen. Dabei wurden einige Schweden mit Steinen totgeschlagen. Deshalb kamen sie im August mit diesmal 900 Mann zurück und forderten eine sehr hohe Geldsumme, die unter größten Mühen aufgebracht wurde. In diesen Tagen kamen sie auch auf die Gerstruber Alp, konnten aber das Vieh nicht wegtreiben, weil sie keinen Weg fanden und sich die Bauern widersetzten. Auf einmal kam der Befehl zum Abmarsch. Was Oberstdorf sicher vor weiteren Repressalien rettete. Zu den oben genannten Kriegslasten kamen noch weitere, an deren Abzahlung die Oberstdorfer noch viele Jahrzehnte knapperten. Die diesen Ereignissen unmittelbar folgende Hungersnot war sicher mit der Hauptgrund, dass im Jahre 1634 700 geschwächte Oberstdorfer durch die Pest hinweggerafft wurden.
Der historische Hintergrund zeigt uns deutlich, dass die Sage von den tapferen Oberstdorferinnen so nicht passiert sein konnte. Die Schweden hätten diese Schmach bitter gerächt.
Die zweite bekannte Sage aus dieser Zeit, ist die vom "Türken- oder Schwedenmarte", einer historisch nachgewiesenen Person. Leo Huber veröffentlichte über ihn den interessanten Artikel "Der Oberstdorfer Gerichtshauptmann Martin Schwegerle" in der Zeitschrift "Unser Oberstdorf".
Laut Sage und auch laut Schöllanger Chronik erschlug Martin Schwegerle einen schwedischen Offizier und deckte ihn mit einem Fuder Heu zu, bis er ihn nachts heimlich im Stockach (Moorweiher) begraben konnte. In seinen Satteltaschen fand er viel Bargeld Die Tat wurde nie bekannt, geschweige denn gesühnt. Martin Schwegerl schaffte es auch in Wirklichkeit zu einem wohlhabenden und angesehen Oberstdorfer Bürger zu werden.
Das große geschichtliche Vorbild des menschlichen Schicksals durch Krankheit bildet jedoch die Pest. Wenn sich die Berichte von der verheerenden Seuche in Chronik und Sage durch ein halbes Jahrtausend erhielten - kaum ein anderes Ereignis in unseren Sagen weist solches Alter auf - dann begreifen wir, wie groß der Schrecken gewesen sein musste. 1635 wütete die Pest in Oberstdorf und raffte zwei Drittel der Bevölkerung hin. Eine schier unglaubliche Tragödie.
In der Sage "Das Peströßlein von Oberstdorf" schoben die Oberstdorfer den Schweden Schuld in die Schuhe. Sie hätten ein pestkrankes Pferd in den Ort getrieben und somit die tödliche Epidemie ausgelöst.
Aus Tiefenbach ist mit „Kegelnde Pestgeister auf der Moosalpe“ eine richtig grausige Sage aus der Pestzeit überliefert. Laut dieser Sage zogen sich ein paar Tiefenbacher vor der Pest auf die Moosalpe zurück. Dort führten sie jedoch ein so gotteslästerliches Leben, dass die Pest sie dann doch ereilte und dahinraffte. Als Untote müssen sie seitdem in Vollmondnächten in einer Geisterprozession über den Engenkopf ziehen.
Auch alte Kulturstätten und Kulturgüter regten zur Sagenbildung an. So gibt es am Burgstall unter dem Himmelschrofen natürlich einen Geist, der einen Schatz behütet (siehe Geistersagen). Erst an der Lorettokapelle endet die „Fahrt“, die drohte eine Dienerbergerin mitzunehmen (siehe Sagen zu Geisterprozessionen). Ein Oberstdorfer, der aus Rubi kommend von einem kopflosen Reiter verfolgt wird, bringt sich bei der Vierzehnnothelferkapelle in Sicherheit (siehe Geistersagen). Auch die Schöllanger Burg regte die Phantasie unserer Vorfahren an. Natürlich machte da die Geschichte von unterirdischen Gängen, wie sie für fast alle Allgäuer Burgställe erzählt werden, die Runde.
Am bekanntesten ist wohl die volksetymologischen Sage von der Entstehung der Appachkapelle. Sie versucht die Entstehung der Appachkapelle, bzw. seines Namens zu erklären. Obwohl die Lorettokapellen eigentlich nicht besonders alt sind, die Abbachkapelle wurde 1493 geweiht, war vor 100 Jahren, als diese Sage niedergeschrieben wurde, nicht mehr bekannt, warum sie gebaut wurde.
Auf jeden Fall machten sich unsere Vorfahren Gedanken über diesen Vorgang. Irgendein findiger Kopf brachte den Namen "Abbach" mit den häufigen Überschwemmungen der Stillach und deren Zurückdämmung in Verbindung. Die Eindeichung der Stillach selbst wurde auch noch ein wenig mystifiziert: aus harter Arbeit beim Deichbau wurde ein Bittgang und ein Wunder Gottes. Schon war eine neue Sage geboren, an deren "wahren" Hintergrund Generationen von Oberstdorfern glaubten.
Heute wissen wir, dass die Kapelle nach der Flur „Abbach“ auf der sie erbaut wurde, benannt wurde. Woher dieser Name sich ableitet, ist nicht bekannt. Steiner meint jedoch, dass die oben genannte Erklärung auf keinen Fall zutreffend sei. Die Kapelle selbst wurde das erste Mal in dem Stiftungsbrief einer „Ewig=Meß=Kaplanei" erwähnt. Diese Stiftung könnte im Zusammenhang mit einem Mord an dem Heimenhofschen Ammann Schnaiter in Zusammenhang stehen. Haintz Ernst, der ein Verwandter eines der beiden Mörder gewesen sein könnte, hätte demnach die Kapelle als Sühnezeichen gestiftet. Zwei der im Jahre 1994 restaurierten Fresken diese Vermutung.