Erzieherin, Künstlerin und Galeristin Sophie Gschwender (1816 – 1897)
“… wie ich bei heiß durstender Wissbegierde und großer Sehnsucht ...“
Sophie Gschwender kam 1816 als Krämertochter in Oberstdorf zur Welt und nichts deutete darauf hin, dass sie weit über die geistigen und geographischen Grenzen ihrer Herkunft hinauswachsen sollte. Als ihre Muttter starb, blieb das elfjährige Mädchen mit ihrem Vater und fünf Brüdern zurück. Das Leben war hart und bot wenig geistige Anregung. In der Schule lernte sie nicht viel mehr als Lesen und Schreiben. Nur in der Kirche fand sie Spuren einer anderen Welt, Nahrung für ihre tiefe und geheimnisvolle Sehnsucht nach Schönheit und Geistlichem. Altargemälde, Fresken, Skulpturen, kostbare Stickereien, Choräle und Orgelsuiten, kunstvoll gebundene und illustrierte Messbücher, lateinische Sprache – das waren Boten einer Welt, zu der sich Sophie Gschwender hingezogen fühlte.
Nach dem Tod des Vaters reiste Sophie 1841 nach Italien – zu jener Zeit ein unglaubliches Unterfangen für eine alleinstehende junge Frau aus einfachen Verhältnissen. Drei Jahre später verließ sie Oberstdorf, um bei den Englischen Fräulein in Augsburg das zu suchen, was ihr bisher versagt geblieben war: Bildung. „Geistesgaben: sehr viele, Fleiß: vorzüglich, Vorbildung: mittelmäßig“ so urteilten die Nonnen über die Achtundzwanzigjährige, die sich nicht scheute, mit Kindern die Schulbank zu teilen.
Ihr Fleiß wurde belohnt, sie wurde nicht nur Sprachlehrerin, sondern erhielt auch ein „Diplom im Zeichnungsfache“.
Die junge Lehrerin legte 1849 ihr Gelübde ab und wurde Nonne, doch schon 1952 ist im „Diarium“ der Englischen Fräulein zu lesen: Sie vertauschte leider mit dem geistlichen Kleide zu spärlich ihr liebes Ich.
Nach schweren Konflikten mit der Oberin verließ Sophie Gschwender den Orden und begann ein neues Leben. In der Rolle der Erzieherin bei adeligen Familien kam sie nach Pau im Südwesten Frankreichs, konnte sich aber bald als Kopistin alter Meister und als Kunsthändlerin unabhängig machen.
Als beim großen Brand von Oberstdorf 1865 auch das Haus ihres Bruders Ignaz zerstört wurde, war Sophie finanziell so unabhängig geworden, dass sie vier Kinder ihres Bruders zu sich nahm und sie in Pau erziehen ließ. Bewegte Lebenswege führten diese Kinder als Erwachsene nach Paris, Mexiko, Neapel und St. Petersburg.
Sophie Gschwender kehrte 1875 als unverheiratete und wohlhabende Frau nach Oberstdorf zurück. In ihrem Gepäck hatte sie ca 150 Werke alter Meister. Sie kaufte ein Haus in der Weststraße (heute Cafe Knaus) und ließ einen mehrgeschoßigen Anbau errichten. Dort eröffnete sie mit ihrer Sammlung eine Gemäldegalerie, die viele Experten nach Oberstdorf zog. Besonders zwei Bilder erregten Aufsehen, da sie, laut ihrer Besitzerin – von einigen Experten bestätigt, von anderen bezweifelt – Originale von Raphael d’Urbino waren.
Sophie Gschwender hat nie vergessen, was es für ein Kind bedeutet, seinen Wissensdurst nicht befriedigen zu können. Deshalb hat sie in ihrem Testament verfügt, ihr Vermögen zur Gründung einer Mädchenschule in Oberstdorf zu verwenden. Sophie Gschwender starb 1897, ohne die Mädchenbildung in Oberstdorf gefördert zu haben.
Das Cafe Knaus kurz nach der Jahrhundertwende 1900
Die Verwirklichung dieses Lebenszieles scheiterte an den Klippen der Lokalpolitik, den Eigeninteressen ihrer Familie und einer erneuten Brandkatastrophe. Nachdem die Gemeinde Oberstdorf die Sophienstiftung abgelehnt hatte, wurde ihr Vermögen und ihre Sammlung zwischen Familienzweigen in Oberstdorf, Tiefenbach, Neapel und St Petersburg aufgeteilt. Ein großer Teil ihrer Bilder und Dokumente fiel schließlich einem Großbrand in Tiefenbach zum Opfer. Die Oberstdorfer Mädchenschule wurde 1905 gegründet.
Vielen Dank an Angelika Patel, die diesen Artikel und das Bild zur Verfügung gestellt hat.