Geister (Erläuterungen)

Auf der Einödbergalpe vor etwa 100 Jahren
Auf der Einödbergalpe vor etwa 100 Jahren
Oliver Weindorf, www.wanderpfa.de

Wie sehr die Menschen noch bis vor kurzer Zeit an Geister geglaubt haben, beweist die große Anzahl von Sagen, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Wollen wir jedoch zuerst den Begriff „Geist“ genauer betrachten. Etymologisch gesehen, entwickelte sich aus der ursprünglichen Bedeutung „Erregung, Ergriffenheit“ die Bedeutung „Geist, Seele, Gemüt“ und „überirdisches Wesen, Gespenst.“ In den Lexika wird der Begriff meist als Gegensatz zur "Materie" definiert. Wir werden sehen, dass dies für unsere "Geister" nicht unbedingt zutrifft. Diese sind oft sehr real und handfest, wie in der Sagen „Der Hoarastane von der Kornauer Alp“ zu lesen ist.

An dieser Sage wird deutlich, wie schlimm früher mit armen Seelen umgesprungen wurde. Wir sehen jedoch auch, und das ist wichtig, dass der Umgang mit dem Vieh eine zentrale Bedeutung inne hatte. "Es gehört in der Vorstellung der Bauern zu den verwerflichsten Sünden, wenn der Hirte der Herde ... Schaden tut. Waren die Tiere doch das kostbarste Gut des Bauern. Deshalb musste auf den Hirten unbedingt Verlas sein." Dies beweist auch die große Anzahl von Sagen, die sich mit diesem alpwirtschaftlichen Themenspektrum beschäftigen. Der Frevel am Vieh hatte höllische Qualen zur Folge. Ein weiteres Beispiel ist der „Näsgeist“ von Tiefenbach, in der ein bekanntes griechisches Sagenmotiv variiert wird:  "Kälbermörder vom Falkenberg"

Leider wird nicht beschrieben, wie und wann dem „Näsgeist“ das Handwerk gelegt wurde. Ich kenne jedenfalls keinen lebenden Tiefenbacher, der mit ihm zu tun hatte. Wie ein solcher Geist ausgetrieben werden kann, das erklärt die Sage „Der Sisyphos vom Einödsberg“, in der wieder das oben erwähnt Sagenmotiv auftaucht. Hier muss der arme Hirt nicht nur geistern, nein diesmal wird er sogar noch verbannt, die Erlösung wird ihm sogar bis in alle Ewigkeit vorenthalten. Der Exorzist ist ein Ordensmann. Ein Kapuziner aus dem nahen Immenstädter Kloster wird gerufen, denn nur er kennt die Verhaltensweise der Geister und weiß, wie man ihr begegnet. Er beherrscht das „Benedizieren“, das Geisteraustreiben und wird auch mit unvorhergesehenen Problemen fertig.

Die Glaubwürdigkeit der Geschichte wird durch den heimlichen Beobachter, sogar der Name des Zeugen wird genannt, verbürgt. An dieser Stelle muss nochmals darauf hingewiesen werden, dass die Sagen der Vorstellungswelt der Menschen vor nicht weniger als hundert Jahren entsprachen. Die Menschen hielten sie für Tatsache. Sogar der aufgeklärte Kaplan Feuerstein aus dem Kleinen Walsertal berichtet in seiner „Baader Chronik“, deren Zusammentragung er 1782 begann, ohne den Hauch eines Misstrauens von einigen übersinnlichen Ereignissen wie dem „Walsermännle“. Natürlich wusste er damals nicht, dass er damit wahrscheinlich die ältesten Sagenaufzeichnungen unserer Region geschaffen hatte.

Jetzt muss nur noch geklärt werden, wohin ein solcher Geist verbannt werden kann. Welcher Ort eignet sich besser als die wilden Felsen und Schluchten unseres Hochgebirges? Hieß die Trettach nach Baptist Schraudolf nicht sogar "Gistkopf"?  Aber auch die Krottenköpfe sollen nach Reiser früher "Geisterköpfe" geheißen haben. Auf die Höhe dieser Berge habe man einst die unruhigen Geister aus der ganzen Umgebung zu bannen gepflegt.

Exorzist ist diesmal ausnahmsweise ein "fahrender Schüler", ein studierter Mann, dem man in unseren Sagen eher die Fähigkeiten eines Zauberers zuschreibt als die eines Geisterjägers. An dieser Sage wird auch ein häufig benutzter Aspekt deutlich: Sagen versuchen zu erklären. Hier wird ein unverständlicher Bergname volksetymologisch gedeutet. Dass aber der Name "Krottenkopf" nichts mit "Kröten" zu tun hat, sondern wahrscheinlich auf das romanische Wort "crypta" im Sinne von "abschüssiger Ort, Felswand" zurückgeht, können wir bei Steiner nachlesen.

Kehren wir nun zurück zu unseren Geisterhirten. In der Sage „Der Feuerreiter vom Söllereck“ hatte der  „Nepf“ im Gegensatz zu seinen Vorgängern Glück, er wurde nicht verbannt, sondern sein Seelenheil wurde gerettet. Unsere Geister sind hierbei stets auf die Hilfe der Lebenden angewiesen. Es sind seine Verwandten, die mit der Hilfe eines Bregenzer Paters seine Rettung schaffen. Wir sehen ein weiteres Mal, wie sich in diesen Sagen das Rechtsempfinden der damaligen einfachen Menschen widerspiegelt. Auf zwei andere Alpgeister, nämlich den "ewigen Melker auf dem Einödberg" und den "Steckengeist von der unteren Mädelealp" sei hier nur verwiesen.

Wir wollen nun jedoch die Alpen verlassen und ins Tal absteigen, denn auch hier begegnen uns allenthalben Widergänger.

Ein häufig in Sagen aus dem alemannischen Raum auftauchendes Motiv ist das des "Markenrückers", wie er in der Sage „Der Markenrücker von Tiefenbach“ beispielhaft geschildert wird. Wenn man aus der Geschichte Oberstdorfs weiß, wie jeder Quadratzentimeter Bodens genutzt wurde, um irgendwelche wirtschaftlichen  Erträge zu gewinnen, dem muss klar sein, welche Bedeutung das Eigentum an Grund und Boden innehatte. Bis hinauf in die steilsten Hänge wurde Bergheu gewonnen und unter größten Mühen und Gefahren im Winter geborgen. Der Boden um den Ort war um ein vielfaches wertvoller und von ihm und seinen Erträgen hing das Überleben der ganzen Familie ab. Bis ins 19. Jahrhundert waren Hungersnöte wegen Missernten an der Tagesordnung. Da musste ein Grenzfrevel natürlich mit Höllenqualen, die in enger Beziehung zum einstigen Verbrechen stehen, gesühnt werden. Der Tote findet dabei erst dann seine Ruhe, wenn das Unrecht beseitigt ist. Ganz wichtig ist dabei, dass die Wiedergutmachung noch auf der Erde geschehen muss und, wie oben schon gesagt, dabei ist die Mithilfe eines Lebenden notwendig.

Lagen bei den vorherigen Sagen wirkliche Verbrechen vor, so sehen wir bei der Sage „Der Geist auf der Käskiste“, dass Geiz allein schon ausreicht, um zum Geistern verurteilt zu werden.

Mangelnde Freigebigkeit der Reichen  wird in der bäuerlichen Sozialanschauung als Missbrauch des Reichtums aufgefasst. Diese Art der Sozialkritik wird auch in der Sage „Hundert Duma send au a Maß!“ deutlich. Bitte achten Sie beim Lesen der Sage auf den Dialekt des Löwenwirts!

Dieser Sage, die sich stilistisch dem Schwank nähert, hören wir deutlich an, dass sie eigentlich mehr unterhalten als belehren will. In ihr sind fast alle vorher angesprochenen Elemente vereinigt.

Zentral bei den bisher behandelten Sagen ist die Verbindung des sündigen Menschen mit seinem Schicksal nach dem Tode. Es gibt jedoch noch eine ganze Reihe weitere Geistergeschichten, bei denen diese Verbindung nicht mehr erkenntlich ist. Wir lernen jetzt anonyme Geister kennen. Sicher sind auch sie Widergänger, nur ist der Grund der Rückkehr nicht mehr bekannt.

Anhand der Sage „Der feurige Reiter  vom Burgstall“ lässt sich recht gut beschreiben, wo sich Geister herumtreiben. Beliebt sind natürlich alte Ruinen. Beispielsweise stand am Burgstall wirklich einmal eine kleine Burg der Ritter zu Heimenhofen. Selten trifft man die Geister innerhalb der Ortschaft, sondern meist in unbewohntem Gebieten an. Strenge Grenzen sind ihnen durch christliche Marken, wie hier der Lorettokapellen, gesetzt. Für einen Oberstdorfer bedeutete eine Kapelle sogar die Rettung vor dem „Mann ohne Kopf bei Ruben“.

Die Hexenkapelle kennen Sie ja schon aus dem Artikel über die Hexen: Es ist die Vierzehnnothelferkapelle, die beim Großen Brand 1865 abgebrannt ist. Sie stand am nördlichen Ortseingang, ungefähr dort, wo die Hauptstraße in den Bahnhofsplatzmündet. Warum recht häufig kopflose Geister unterwegs waren, kann nur vermutet werden. Vielleicht sind sie eine Erinnerung an die grausigen Zeiten, als den Verbrechern noch der Kopf abgeschlagen wurde, oder sie erinnern an alte Skulpturen aus der Antike, die auch häufig kopflos dastanden.

Gerade anhand der letzten beiden Sagen lässt sich ein weiterer wichtiger Aspekt der Sagen erhellen: Wie kann so eine Geschichte überhaupt entstehen?

Zu allererst war es für die damaligen Menschen sonnenklar, dass neben der real existierenden Welt eine zweite, spirituelle bestand. Durch Erzählungen in der Kunkelstube wurden die Geschichten weitergegeben und sicher auch ausgesponnen. Die Geister spukten also schon in den Köpfen unserer Vorfahren, bevor sie persönlich eine Geistererscheinung hatten. Damit es jedoch zu einer solchen kommt, müssen zwei weitere wichtige Punkte erfüllt werden. Der erste ist die persönliche Disposition des jeweiligen Menschen. War er leichtgläubig, ängstlich? Hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er in Altstätten "verhockt" war? Hatten ihm seine Freunde zu viel ins Glas geschenkt? Oder litt er gar an einer Krankheit wie der Epilepsie? Hier sei an die Fahrten mit der Nachtschar erinnert. Traf einer dieser Punkte  zu, dann war auch ein Geist nicht weit. Der zweite Aspekt ist die Umwelt, die jeweilige Situation, in der sich die Person, meist allein, befand. Bei bestimmten Wettersituationen wie Gewitter, Sturm und Hagel waren die Menschen anfälliger. Die Angst wuchs und mit der Angst die Nähe der Spukgestalten. Jetzt reichte nur noch ein Funke, ein auslösender Reiz, und schon war der "kopflose Mann" real existierend. Der einzige Ausweg war Flucht. Zum Nachdenken blieb keine Zeit. In Oberstdorf, der vertrauten Umgebung, wieder angekommen, war der Geist weg. Natürlich gab es für das Verschwinden auch eine Erklärung: Die Hexenkapelle musste es gewesen sein, denn an christlichen Symbolen kam kein Geist vorbei.

Mit der Geschichte vom „Lochbachgeist“ kehren wir kurz wieder auf die Alpen zurück. Anhand unserer Sagen können wir auch die Zeit, in der die Geister unterwegs waren, genauer eingrenzen. Die Zeit zwischen dem Gebetläuten am Abend und am Morgen war die gefährlichste. Ausgesprochene Geisterzeit war das Winterhalbjahr in den Alpen. Zwischen den beiden Festen Kreuzerhöhung (14. September) und Kreuzauffindung (3. Mai) haben die Geister das Recht in den Alpen. Sie verteidigen in dieser Zeit ihr Hausrecht, das sie außerhalb der Alpzeit besitzen.  Auch die Nachtschar erscheint in dieser Zeit. Im Gegensatz zu vielen anderen Hüttengeistern ist unser Lochbachgeist jedoch verhältnismäßig höflich, denn die Störenfriede werden nur hinausgeworfen. In vielen Vorarlberger Sagen passiert ihnen da schon mehr. Doch fast immer bleibt der Mensch Herr der Situation und nur ganz selten endet eine Geisterbegegnung tödlich.

Auch extreme Wetterereignisse, die sich unsere Vorfahren nicht erklären konnten, waren sicher Ausgangspunkt für Sagenbildungen. Als Beispiele seien die „Lichtergeister auf dem Seealpsee“, der „Höfatsgeist“ und die „Kalten Feuer“ genannt.

Wir sind jetzt am Ende unserer Geistergeschichten angekommen. Wir haben die verschiedensten Typen kennen gelernt und viel über den Glauben und das Rechtsempfinden unserer Vorfahren erfahren. Uns sind solche Geistererscheinungen fremd. Nur gefühlsmäßig kommen wir in Situationen, in denen wir unsicher sind und ängstlich reagieren. Uns fehlen die Vorgaben aus dem Kopf und die moralischen Normen der Vergangenheit. Wir wissen zu viel über die Zusammenhänge in der Natur. Geister wie unsere Ahnen werden uns fremd bleiben, aber neue Geister, neue Sagen sind schon im Kommen: Wie viele Menschen wurden gerade in den letzten Jahren von Außerirdischen entführt?

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Oberstdorfer Sagen: Der Hoaresdoane
Oberstdorfer Sagen: Der Hoaresdoane