Die Fahrt bei Loretto entführt eine Dienersbergerin
Am "Frauentag", dem Sonntag vor Weihnachten, wollte einmal eine Dienersbergin - die uralten Oberstdorfer kannten sie noch bei ihren Namen - ganz in der Früh, noch lange vor dem Gebetläuten nach Oberstdorf zum Beichten. In der Nähe der Lorettokapellen, hörte sie auf einmal eine wunderschöne Musik, wie von einem Orchester mit vielen Flöten und Geigen. Die Frau konnte gar nicht genug davon bekommen, so himmlich war das Konzert. Die Musik kam näher und näher. Auf einmal erkannte sie im fahlen Schein ihrer Kienfackel*, dass ein Schlitten an ihr vorglitt. Er schien jedoch über dem Boden zu schweben. Es ging zwar blitzschnell, trotzdem meinte sie, Leute im Schlitten sitzen gesehen zu haben. Doch leider streifte sie der Schlitten und sie ließ vor Schreck die Fackel fallen. So stand sie nun da im Stockdunklen. Da geriet sie in Angst und Schrecken und versuchte, so schnell wie möglich die nahem Kapellen zu erreichen! Aber irgendwie gelang es ihr nicht. Der Weg war wie verhext. Sie irrte lange umher. Erst als sie das Gebetläuten der Lorettokapellen vernahm, fand sie zu ihrem Weg zurück. Eigentlich war sie sich vorher immer sicher, dass sie diesen niemals verfehlen könnte. Als sie später mit Schaudern das Erlebte erzählte, meinten ihre Zuhörer, dass sie Gott danken müsse, denn sie wäre der "Fahrt" begegnet. Normaler Weise würde die Fahrt alle mitnehmen, die nicht gottgläubig wären. Unsere Dienersbergin ist jedoch mit dem bloßen Schrecken davongekommen.
* Anmerkungen:
Kienfackel : mit Harz und Terpentinöl durchtränktes Kiefernholz von Wundstellen, als Kienspan zur Beleuchtung benützt, fingerdick, gut getrocknet, schräg in einen eisernen Halter gesteckt, brannte etwa zwei Stunden wie eine Kerze und verbreitete angenehmen Duft (Brockhaus)